Autorin: Meike Südmeier
M.Sc. Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Projektmitarbeiterin Berolina Klinik

Autor: Prof. Dr. Scott Stock Gissendanner (apl.)
Wissenschaftler im ärztlichen Dienst, Berolina Klinik

Autor: Kai Lorenz
Chefarzt Verhaltensmedizinische Orthopädische Rehabilitation (VOR), Berolina Klinik

Autorin: Prof. Dr. Beate Muschalla
Psychologische Psychotherapeutin

Technische Universität Braunschweig
Abteilung Klinische Psychologie,
Psychotherapie und Diagnostik

Wie unterscheiden sich geschlossene Gruppen und offene Gruppen in ihrer Wirkung?

Eine Studie in der Berolina Klinik

Hintergrund der Studie
In der medizinischen Rehabilitation werden die meisten Therapien in der Gruppe durchgeführt. Dies hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern ist auch für die Teilnehmenden von Nutzen. Die Gruppentherapie steigert die positiven Aspekte der Behandlung auf verschiedene Arten, wie zum Beispiel durch das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe, die Offenheit für die Perspektiven anderer Menschen sowie das Vertrauen in den Therapieprozess. Abhängig davon, wie gut die Gruppe funktioniert, können diese und andere Effekte unterstützt werden.
Gruppentherapien können in verschiedenen Formen durchgeführt werden. Geschlossene Gruppen bestehen aus festen Mitgliedern, die gleichzeitig und gemeinsam mit der Therapie beginnen. Im Verlauf der Therapie kommen keine weiteren Mitglieder hinzu. Offene Gruppen hingegen haben keine festgelegte Anzahl von Therapieplätzen, möglicherweise jedoch eine Maximalgrenze. Im Verlauf der Therapie können neue Mitglieder hinzukommen, sofern Plätze durch das Ausscheiden anderer Gruppenmitglieder frei werden.
Bisher gibt es noch keine ausreichenden empirischen Untersuchungen zu den theoretisch möglichen Vor- und Nachteilen von offenen und geschlossenen Gruppen im Kontext der stationären Rehabilitation. Explorative Befragungen in der Berolina Klinik haben zwar gezeigt, dass geschlossene Gruppenformen bei den Rehabilitanden eine hohe Akzeptanz finden, es liegen jedoch keine zuverlässigen Hinweise auf die Auswirkungen von geschlossenen im Vergleich zu offenen Gruppen hinsichtlich der Therapiewirksamkeit und der Zufriedenheit sowohl der Teilnehmenden als auch der Therapieleistenden vor.

 

Studienbeschreibung
Vor diesem Hintergrund leitet Professor Dr. Beate Muschalla (Technische Universität Braunschweig, Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik) mit ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Meike Südmeier in Zusammenarbeit mit Kai Lorenz und Prof. Dr. Scott Stock Gissendanner (Berolina Klinik) ein Forschungsprojekt zu der Frage „Wie unterscheiden sich geschlossene Gruppen und offene Gruppen in ihrer Wirkung unmittelbar und ein halbes Jahr nach der stationären Rehabilitation?“.
Die empirische Phase der Studie hat im Herbst 2022 begonnen. RehabilitandInnen mit orthopädischen und psychosozialen Problemlagen wurden bei Aufnahme in die stationäre VOR-Rehabilitation über die Studie informiert und eingeladen teilzunehmen. Alle Studienteilnehmenden wurden im Verlauf der folgenden Monate nacheinander in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Hälfte der Teilnehmenden erhielt im Herbst 2022 Therapien in der geschlossenen Gruppe, die andere Hälfte erhielt im Frühjahr 2023 die gleichen Therapien in der offenen Gruppe. Die Therapieinhalte und die Therapiedauer waren bei beiden Gruppenformen genau identisch und entsprachen den Vorgaben des VOR-Rahmenkonzepts. Zur Messung möglicher Unterschiede in den Rehabilitationsergebnissen der verschiedenen Gruppentherapieformen wurden Befragungen zu den folgenden Aspekten durchgeführt: Gruppenerlebnis, Bewältigung von Arbeit und Alltag, Arbeitsfähigkeitsstatus, Symptombelastung, Motivation für Sport und Bewegung sowie mögliche Nebenwirkungen der Therapiegruppen. Die Follow-up-Erhebung für beide Gruppen wird Ende 2023 abgeschlossen sein.
Das Ziel der Studie besteht nicht darin, festzustellen, welche Gruppenform „besser“ ist, sondern vielmehr zu untersuchen, welche spezifischen Wirkungen (wie beispielsweise Interaktion oder Sportmotivation) von den unterschiedlichen Gruppenformen besonders gut unterstützt werden. Geschlossene Gruppen werden bisher seltener in der Rehabilitation eingesetzt, da sie organisatorisch aufwendiger sind und es bisher keine klaren Hinweise darauf gibt, welche konkreten Vorteile sie im Vergleich zu offenen Gruppen bieten können. Unsere Studie ist eine der ersten, die sich mit dieser Fragestellung befasst, und sie trägt dazu bei, die Qualität der Rehabilitation in Zukunft weiter zu verbessern.
Die Studie wurde von der DRV Rheinland und der DRV Westfalen gefördert. Das Gutachtenverfahren beaufsichtigte die Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen e. V.

 

Der aktuelle Stand der Studie
Die erste Erhebungsphase, in der geschlossene Gruppen untersucht wurden, endete im November 2022. Die zweite Erhebungsphase, in der offene Gruppen durchgeführt wurden, wurde im Mai 2023 abgeschlossen. Die Teilnahmequote liegt in beiden Gruppen zu Beginn der Reha bei rund 90%. So konnten im Verlauf der Erhebungsphasen insgesamt 122 PatientInnen in der geschlossenen Gruppenphase sowie 159 PatientInnen in der offenen Gruppenphase in die Studie eingeschlossen werden.
Aus der ersten Projektphase lassen sich erste allgemeine Hinweise auf positive Verläufe im Rahmen der herkömmlichen verhaltensmedizinischen orthopädischen Rehabilitationsbehandlung – mit geschlossenen Gruppen – ableiten. 70,5% der PatientInnen wurden arbeitsfähig aus der Reha entlassen, wobei 68% bereits arbeitsfähig in die Reha gekommen waren. In Bezug auf depressive und ängstliche Symptomatik zeigt sich, dass der Anteil der Stichprobe mit nur milder Symptomatik (statt einer stärkeren Ausprägung) im Verlauf der Reha von 11,8% auf 41,7% anstieg. Am Ende der Reha wiesen knapp 80% der Stichprobe eine milde oder normale Symptombelastung auf. Das psychische Befinden verbesserte sich im Verlauf der Rehabilitationsbehandlung signifikant (Effektstärke: d=0,79). Das subjektive Gefühl von Beeinträchtigung in der Bewältigung des Alltags verbesserte sich im Verlauf der Rehabilitationsbehandlung ebenfalls signifikant (Effektstärke: d=0,42). Darüber hinaus verbesserten sich die Absicht, Sport zu treiben, das Gefühl von Selbstkontrolle in Bezug auf sportliche Aktivitäten, die intrinsische Motivation und die Befindensregulation durch Sport im Verlauf der Rehabilitationsbehandlung signifikant (Effektstärken: d1=0,48; d2=0,52; d3=0,26; d4=0,25). Die subjektive Arbeitsfähigkeit insgesamt sowie in Bezug auf körperliche und psychische Arbeitsanforderungen verbesserte sich im Verlauf der Rehabilitationsbehandlung ebenfalls signifikant (Effektstärken: d1=0,48; d2=0,53; d3=0,45).
Die Ergebnisse bezüglich der geschlossenen Gruppen, insbesondere des Vergleichs zwischen geschlossenen und offenen Gruppen einschließlich des Follow-up nach sechs Monaten werden erst im Verlauf der nächsten Monate berechnet und stehen daher noch aus.
Von zentraler Bedeutung für den Erfolg der empirischen Erhebung war der unermüdliche Einsatz von Meike Südmeier, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Muschalla für die Durchführung vor Ort verantwortlich war. An die zahlreichen Studienteilnehmenden unter den Leserinnen und Lesern unseres Rundbriefes möchten wir gerne die folgende Botschaft von Frau Südmeier ausrichten:
Ich möchte mich noch einmal bei allen Teilnehmenden ganz herzlich bedanken! Bevor ich mit den Erhebungen gestartet bin, hatte ich so meine Bedenken, ob ich genügend Personen von einer Teilnahme an der Studie überzeugen kann. Es ist überwältigend zu sehen, mit welch einer Selbstverständlichkeit viele PatientInnen in die Teilnahme eingewilligt und die Fragebögen ausgefüllt haben. Ich bin an dieser Stelle vielen offenen und interessierten Menschen begegnet, die gerne einen Beitrag zur Forschung und damit zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Behandlungsprogramms geleistet haben. Ihre Unterstützung ist von unschätzbarem Wert und trägt dazu bei, dass wir wichtige Erkenntnisse gewinnen können. Das, was die Erhebungsphasen darüber hinaus für mich spannend gemacht hat, war die Vielfältigkeit der Berufswelten, aus denen die PatientInnen in die Reha kommen und dass ich einmal Zeit hatte, so intensiv im Rahmen des Mini-ICF-Interviews nach den Erfahrungen, Empfindungen und beruflichen Fähigkeiten zu fragen. Auch hier bin ich auf viel Offenheit der PatientInnen in ihren Erfahrungsberichten gestoßen und hatte oft den Eindruck, dass die Teilnehmenden die Chance gern nutzten, ihre berufliche Situation zu reflektieren und ein Gegenüber zu haben, das ihnen zuhört.

 

Ausblick
Wir befinden uns derzeit in der Phase der Datenanalyse, in der wir die erhobenen Informationen auswerten und Zusammenhänge untersuchen. Die Ergebnisse werden uns ein tieferes Verständnis für die Wirksamkeit und Effektivität der verschiedenen Gruppenformen in der Rehabilitation ermöglichen. Sobald die Auswertung abgeschlossen ist, werden wir im IREHA-Rundbrief die Ergebnisse präsentieren und darüber berichten. Wir sind gespannt darauf, wie die Daten zu den unterschiedlichen Aspekten der Rehabilitationsergebnisse und die Rückmeldungen der Teilnehmenden sowie der Therapeutinnen und Therapeuten ausfallen werden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden uns helfen, die Qualität der Rehabilitation weiter zu verbessern und die bestmögliche Unterstützung für unsere Patientinnen und Patienten zu bieten.

Ihr Kontakt zu IREHA

 
Adresse/Ansprechpartner:
IREHA – Institut für Innovative Rehabilitation
 
Ärztlicher Leiter:
Prof. Dr. med. Gerhard Schmid-Ott
Kontakt/Sekretariat:
Frau Verena Linnenkamp
Koblenzer Straße 1
D-32584 Löhne/Bad Oeynhausen
Telefon +49 (0) 5731-782752
Fax +49 (0) 5731-782777
E-Mail: info@ireha.de

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