Schmerzen ohne körperlich-strukturelle Ursache?

 
Gemäß den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation wird der nicht über körperliche Ursachen erklärbare Schmerz als „somatoformes Schmerzerleben“ bezeichnet. „Soma“ ist griechisch und bedeutet Leib bzw. Körper. „Somatoform“ bedeutet, dass sich Gefühle und Stress in körperlichen Schmerzen ausdrücken.
Wir kennen alle die körperliche Anspannung, in die uns Gefühle wie z. B. Angst und Wut sowie anhaltender Stress versetzen können. Zusammen mit weiteren belastenden Faktoren kann ein „andauernder, schwerer und quälender Schmerz entstehen, der durch eine körperliche Erkrankung nicht erklärt werden kann. Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosoziale Belastungen auf, die schwerwiegend genug sein sollten, um als entscheidender ursächlicher Faktor gelten zu können.“ Diese Beschreibung stammt von der Weltgesundheitsorganisation.
Stellen Sie sich etwa vor, es kommt zu einer längeren körperlichen/psychischen/sozialen Überlastung. Durch die dadurch ausgelösten negativen Emotionen und Stressempfindungen spannen sich - meist unbemerkt - viele Muskeln an. Dauerhaft angespannte Muskeln verkürzen und verhärten sich, können zur Einschränkung der Beweglichkeit führen. Messungen zeigen, dass beim Händeschütteln etwa 50 Muskelpartien „arbeiten“. Durch chronischen Stress verspannte Menschen aktivieren dabei viel mehr Muskelpartien. Diese Überaktivierung der Muskulatur findet sich auch bei vielen anderen Tätigkeiten; und selbst dann, wenn wir uns ausruhen. Durch eine häufige bis ständige Muskelanspannung fühlt man sich schneller und häufiger erschöpft. Diese Art von psychisch (mit)bedingten körperlichen Schmerzen können die Lebensqualität von Betroffenen erheblich einschränken. Die Symptomlast kann so groß sein, dass sie sogar zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit, depressiven Verstimmungen und sozialem Rückzug führt.
Voraussetzung für die Diagnose chronischer somatoformer Schmerz ist also ein „mindestens über sechs Monate kontinuierlich anhaltender und an den meisten Tagen vorkommender schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht durch eine körperliche Störung erklärt werden kann“ – und der in der Aufmerksamkeit der Patientin/des Patienten eine große Rolle spielt.
Es handelt sich also um funktionell bedingte Schmerzen, die man durch bildgebende Verfahren nicht sichtbar machen kann. Auf der neurobiologischen Ebene kommt zu einer Sensibilisierung des auf die Wahrnehmung von potentiell Schmerz auslösenden Reizen spezialisierten Nervensystems (nozizeptives System). Die Schmerzempfindlichkeit nimmt zu. Üblicherweise nicht-schmerzhafte Reize (z. B. ein leichter Druck auf einen Muskel) werden als schmerzhaft und unangenehm empfunden.
Unter der unzutreffenden Vorstellung, dass Schmerzen immer eine körperlich-strukturelle Ursache haben müssen, werden im Regelbetrieb häufig eine Vielzahl an technischen Untersuchungen durchgeführt. Vermögen die Befunde die Beschwerden der Patientin/des Patienten nicht erklären, sollte die Diagnostik und Therapie unbedingt um die psycho-somatische Ebene erweitert werden, wofür das Fachgebiet Psychosomatik zuständig ist. Eine gezielte psychosomatische Behandlung ist geeignet die psychischen (Mit)Ursachen zu behandeln und den Umgang mit Schmerzen zu verbessern.

 

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