25.05.2019 | IREHA | Klinikprojekte | IREHA
Verhaltensmedizinisch orientierte orthopädische Rehabilitation in der Praxis
Abstract der Veröffentlichung "Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 2019, 105, 19-31."




In der Zeitschrift Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation hat Dr. Ulrike Worringen, Deutsche Rentenversicherung Bund, kürzlich den Themenschwerpunkt „Verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation“ (VOR) herausgegeben. Die Zeit für einen solchen Rückblick ist reif. Die verhaltensmedizinische Orientierung in der Rehabilitation existiert seit 18 Jahren, zunächst als besonderer therapeutischer Ansatz in der Orthopädie. Angeboten wird eine intensivierte psychotherapeutische Mitbehandlung von Menschen mit chronischen orthopädischen Erkrankungen und psychosomatischer Komorbidität. Mit dem 2017 neu erschienenen VOR-Anforderungsprofil wurde der ältere Therapieansatz „Verhaltensmedizinische Orthopädie“ (VMO) in das nunmehr indikationsübergreifende VOR-Rahmenkonzept überführt. Das Schwerpunktheft bietet einen umfassenden Einblick in die Praxiserfahrung und zeigt Entwicklungsmöglichkeiten und -bedarfe in der Konzeptumsetzung auf.
Im zweiten Beitrag des Hefts beschreibt das Autorenteam um Kai Lorenz, Chefarzt der VMO-Abteilung der Berolina Klinik, die Umsetzung des Konzeptes in unserer Klinik. Ziel des Beitrags ist „eine praxisbasierte Exploration der Konzeptumsetzung verknüpft mit einer Reflexion darüber, welche Faktoren zu guten Ergebnissen für diese Rehabilitandengruppe führen“ (S. 20).
Tabelle 1 (siehe Downloadbereich) gibt einen Überblick über die Therapieangebote im VMO-Therapiekonzept der Berolina Klinik. Die Gesamtzahl der gemeinsam in der Bezugsgruppe absolvierten Termine beträgt 65, diese teilen sich wie folgt auf: Von den bewegungstherapeutischen Bezugstherapeuten werden 52 Termine durchgeführt. Das entspricht 80 % der gesamten Therapien. Im psychologischen Bereich finden sieben obligate Termine und nach Vereinbarung bis zu drei Einzelgespräche statt. Ein Termin (Begrüßung) wird durch den Pflegedienst gestaltet, ein Termin durch einen Ergotherapeuten (Ergonomie am Arbeitsplatz) und ein Termin durch einen Sozialdienstmitarbeiter (Nachsorge-Sprechstunde). Neben diesen Therapien, die in der Bezugsgruppe wahrgenommen werden, sind natürlich übliche Therapieergänzungen wie z. B. Rückenschwimmen, Einzel-Physiotherapie, Massagen, Fango, Elektrotherapie oder weitere Einzeltermine in der Ergotherapie, in der Ernährungsberatung oder im Sozialdienst möglich.
Insbesondere die Wirksamkeit von Sport für die Behandlung und Prophylaxe von Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Migräne sowie Depressionen und Angsterkrankungen ist in der Forschung gut belegt. Daher setzt das Konzept der VMO-Abteilung der Berolina Klinik ein besonders intensives Sportprogramm um. Neben Schmerzreduktion und Beweglichkeitsverbesserung werden im Sportprogramm folgende vier Ziele verfolgt: 1) verschiedene Sport- und Bewegungsarten in der Klinik ausprobieren und mindestens eine für die weiterführende Ausübung zu Hause festlegen, 2) in der Gruppe und mit dem Therapeuten konkrete, realistische und langfristige Ziele für die sportliche Betätigung nach der Reha definieren, 3) einen Handlungsplan zur Zielerreichung zur Förderung der Volition des Rehabilitanden festlegen und 4) Bewältigungsstrategien zur Überwindung von eventuell eintretender Demotivation entwickeln.
Nur wenige Rehabilitanden der Berolina Klinik waren vor ihrer Reha intensiv sportlich aktiv. In einer Befragung aus dem Jahr 2018 gaben 40 % der Befragten an, vorher gar nicht sportlich aktiv gewesen zu sein. Lediglich weitere 30 % haben vor der Reha mehr als 60 Minuten pro Woche Sport getrieben. Dennoch gaben nach Ablauf der Reha 88 % der befragten Rehabilitanden die Anzahl der Sporttherapieeinheiten während der Rehabilitation als angemessen und 7 % sogar als zu niedrig an. Die Zufriedenheit der Rehabilitanden mit dem Sportprogramm ist überraschend hoch: 100 % der befragten Rehabilitanden stuften in der Befragung im Jahr 2018 das Programm entweder als positiv oder als sehr positiv ein.
Integriert in das VMO-Konzept ist die psychotherapeutische Behandlung komorbider psychischer Erkrankungen. Ein Einzel-Vorgespräch dient zur Abschätzung der Ausprägung psychischer Komorbidität. Neben der Erfassung der beruflichen und privaten Situation der Rehabilitanden wird eine individuelle Problem- und Verhaltensanalyse durchgeführt. Dieses Vorgehen ermöglicht es dem Behandler, die Notwendigkeit für psychologische Einzelgespräche einzuschätzen und dies mit dem Rehabilitanden zu besprechen. Das obligatorische verhaltenstherapeutisch orientierte Gruppenkonzept „Back to my Balance“ umfasst sechs Termine à 90 Minuten und fokussiert vor allem Stress und Schmerz.
Die Autoren legen in der Berolina Klinik ein besonderes Augenmerk auf die Therapeutenkonstanz und die Behandlung in geschlossenen Gruppen. Mehr als 90 % der Rehabilitanden bewerteten diese Merkmale in einer Befragung aus dem Jahr 2018 als gut oder sehr gut. Das eingetretene Gemeinschaftsgefühl in den geschlossenen Gruppen sahen sie als förderlich für die Sporttherapie und, weniger stark ausgeprägt, auch für die Psychotherapie. Diese und weitere Ergebnisse der Patientenbefragung sind in Tabelle 2 (siehe Downloadbereich) zusammengefasst.
Aus Sicht der Autoren ist die verhaltensmedizinisch orientierte orthopädische Rehabilitation aus klinischer Sicht in der Lage, Rehabilitanden mit schwierigen und komplexen Störungsbildern wie chronischen Schmerzen oder somatoformen Schmerzstörungen gerecht zu werden. Möglich ist dies aufgrund der interdisziplinären Teamarbeit, der aufeinander abgestimmten Therapien, der geschlossenen Gruppen mit einhergehender Therapeutenkonstanz und des erhöhten psychotherapeutischen Stellenansatzes.
[Downloadbereich]
Tabelle 1: Therapieangebote im VMO-Konzept der Berolina Klinik
Tabelle 2: Rehabilitandenbefragung zur Therapeutenkonstanz und zu den geschlossenen Gruppen im VMO-Konzept der Berolina Klinik (2018, 81 Befragte)