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29.03.2009 | IREHA | Klinikprojekte

Burnout-Syndrom

Dr. med. Christian Stock, Oberarzt Berolina Klinik
Prof. Dr. med. Gerhard Schmid-Ott, Ärztlicher Direktor Berolina Klinik

Das Burnout-Syndrom wurde erstmalig 1974, also vor mehr als 30 Jahren, von Freudenberger beschrieben, einem amerikanischen Psychoanalytiker (1). Das Burnout-Syndrom (wörtlich „Ausgebrannt sein“) ist ein Phänomen, welches sich in der heutigen Zeit immer mehr auszubreiten scheint. Im Zeitalter der Globalisierung und zunehmender Arbeitsverdichtung nehmen der Zeitdruck und die Anforderungen im beruflichen Bereich mehr und mehr zu. Hinzu kommen sich auflösende Familienstrukturen, so dass die oder der Einzelne häufig weniger Rückhalt im privaten Bereich bekommt.
Anhaltender negativer Stress, der nach und nach alle Leistungsreserven verbraucht, führt dann auf der körperlichen Ebene schließlich zu Müdigkeit, Schlafstörungen, häufigen Infekten, Muskelverspannungen, Schmerzen und so genannten Somatisierungsbeschwerden. Das aus der Stressforschung bekannte „Adaptionssyndrom“ (2) (Resultat von chronischem Stress) entspricht in vielem den beobachteten körperlichen Anzeichen eines Burnout-Syndroms. Damit können zumindest die körperlichen Symptome mit den Ergebnissen der Stressforschung erklärt werden.

Das Besondere am Burnout-Syndrom ist der lang anhaltende Zustand der Erschöpfung.
D. h., dass konventionelle Erholung wie Urlaub und ein freies Wochenende nicht mehr ausreichen, um sich zu regenerieren. Das häufig problematische am Burnout-Syndrom ist außerdem, dass es sich langsam aufbaut und man es zunächst nicht bemerkt. Anders als bei einer körperlichen Erschöpfung spricht man beim Burnout-Syndrom aber auch von einer emotionalen (oder gefühlsmäßigen) Erschöpfung. Damit meint man z. B. Versagensängste, Gleichgültigkeit, Hilflosigkeit und auch depressionsähnliche Zustände. Manche Autoren sprechen auch von sozialer Erschöpfung, also zunehmenden Schwierigkeiten im Umgang mit Familienangehörigen, Freunden und Arbeitskollegen. Erwähnenswert ist die oft von Patientinnen bzw. Patienten beschriebene mentale Erschöpfung, die sich z. B. in Konzentrations- und Gedächtnisstörungen niederschlägt. Somit kann sich der Erschöpfungszustand körperlich, emotional bzw. mental einzeln oder gleichzeitig äußern. Diese Vielfältigkeit der Symptome erschwert im ersten Moment auch die Diagnostik.

Während man ein Burnout-Syndrom zunächst nur in sozialen Berufen vermutete, ist man sich heute einig, dass fast jede Berufsgruppe ein Burnout-Syndrom erleiden kann. Ein gängiges Messinstrument, um ein Burnout-Syndrom zu erfassen, ist der so genannte MBI (Maslach Burnout Inventory), der 1981 erstmalig entwickelt und 1996 erneuert wurde.

Gemessen werden die drei Skalen:
1. Erschöpfung
2. Zynismus
3. Berufliche Wirksamkeit (3)

Die meisten Autorinnen und Autoren sind sich einig, dass das Burnout-Syndrom in verschiedenen Phasen abläuft. Am bekanntesten ist das 12-Phasen-Modell von Freudenberger und North (1), andere Autoren nennen acht Phasen oder eine frühe, eine mittlere sowie eine späte Phase (4). Die Phasen müssen nicht linear durchlaufen werden, sondern man kann auch Phasen „überspringen“. Typisch ist ein schleichender Verlauf, der zunächst verdrängt und mit vermehrtem Einsatz kompensiert wird.

Als Ursachen werden unterschieden:
1. Situationsfaktoren und
2. Persönlichkeitsfaktoren


1) Situationsfaktoren sind z. B.:
•    Unsichere Arbeitsverhältnisse im Kontext eines instabilen Arbeitsmarktes
•    Möglicherweise zunehmende Anfälligkeit von Arbeitnehmern im Kontext der 
     Globalisierung
•    Neue Formen von Arbeitsverträgen
•    Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit
•    Alternde Erwerbsbevölkerung
•    Lange Arbeitszeiten
•    Intensivierung der Arbeit
•    „Schlanke“ Produktion und Outsourcing
•    Hohe emotionale Anforderungen bei der Arbeit
•    Unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (5)


2) Persönlichkeitsfaktoren stehen im Zusammenhang der Person selbst:
Neben den Rahmenbedingungen spielt daher der Charakter eine große Rolle. Bekannt ist die Vorstellung von Freudenberger, die von einer „narzisstischen Helferpersönlichkeit“ ausgeht. Die zu hohen Belohnungerwartungen des „Helfers“ werden im Alltag immer wieder enttäuscht und führen zu einer kontinuierlichen Frustration, welche wiederum mit zum Burnout-Syndrom beiträgt (1).

Andere Persönlichkeitsstrukturen, die neben dem „Helfer“ zum Burnout-Syndrom neigen, sind sogenannte:
1. „Nicht-Nein-Sager“
2. „Idealisten“
3. „Perfektionisten“(6)

Die Sichtbarmachung der Persönlichkeitsstruktur ist in diesem Zusammenhang ein wesentliches Anliegen Psychodynamischer Verfahren.

Das Konzept des Burnout-Syndroms ist nicht unumstritten. In der internationalen Klassifikation ICD taucht es nicht als eigenständige Diagnose auf. Es wird lediglich auf die Z-Gruppe verwiesen: „Personen, die das Gesundheitssystem aus sonstigen Gründen in Anspruch nehmen“. Laut einigen Fachautoren entspricht die Z73 (Probleme mit Bezug auf Lebensbewältigungsschwierigkeit) am ehesten dem Syndrom.

Sehr verbreitet ist die Gleichsetzung mit der Diagnose Neurasthenie F48.0. Andere Autoren bevorzugen diagnostisch den Depressiven Formenkreis, also z. B. die F32.1. Das liegt daran, dass die Symptome bei einem fortgeschrittenen Burnout-Syndrom einer Depression sehr ähnlich sein können. Kritisch setzen sich vor allem Hillert und Marwitz mit dieser Unschärfe auseinander. (7)

Einige Autoren sehen das Burnout-Syndrom auch als momentane „Modeerscheinung“ an bzw. als „alten Wein in neuen Schläuchen“. (8) Immerhin sind sich alle Autoren einig, dass ein Burnout-Syndrom als Metapher für Stresserkrankungen von Patientinnen bzw. Patienten viel eher akzeptiert wird als z. B. eine Depression oder eine Somatisierungsstörung. Somit ist auch die fachgerechte Behandlung deutlich leichter, weil die Patientinnen bzw. Patienten dadurch eher psychotherapeutische Hilfe annehmen.

Aus unserer Sicht und Erfahrung der Behandlung von Hunderten von Patientinnen bzw. Patienten in der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik, welche diesen Beschwerdekomplex aufweisen, handelt es sich tatsächlich u. a. um ein Zeitphänomen der modernen postindustriellen Leistungsgesellschaft, welches noch ungenügend erfasst und verstanden wird und gerade durch seine Komplexität nur schwer in einfache diagnostische Kategorien zu fassen ist.


Die Behandlung
In der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik werden die Patientinnen bzw. Patienten mit Einzel- und Gruppentherapie behandelt.


Allgemeine Therapieziele sind:
•    Abstand schaffen zur häuslichen Belastungssituation
•    Zusammenhänge des Burnout-Syndroms verstehen
•    Handlungsorientierte Bewältigungsschritte vermitteln
•    Entscheidungen zur weiteren beruflichen und familiären Zukunft treffen


Spezifische Therapieziele sind:

•    Erwerb eines angemessenen Störungsverständnisses (Definition von Burnout)
•    Bewusstes Wahrnehmen von Belastungs- und Burnout-Syndrom-Risiken:
     Analyse der Belastungsfaktoren die zum Burnout-Syndrom geführt haben:
a) Analyse der Arbeitsplatzsituation (Analyse der konkreten beruflichen 
     Situation bzw. des Arbeitsklimas) oder anderer „Burnout-Schauplätze“, z. B.
b)  Pflegefälle in der Familie;
•    Kognitive Umstrukturierung allgemein:
Dysfunktionale Schemata (nicht hilfreiche „Lebensleitsätze“) erkennen und verändern,
z. B. eine zu hohe persönliche Anspruchshaltung (Erfolg und Misserfolg bzw. Helfen als „Beruf“)
•    Kognitive Umstrukturierung speziell:
     Überprüfung eigener Ansprüche = Arbeit mit so genannten Antreibern (9):
     1.    „Sei perfekt!“
     2.    „Sei schnell!“
     3.    „Mach es allen recht!“
     4.    „Streng Dich an!“
     5.    „Sei stark!“
•    Erlernen und Einüben von Stressbewältigung und Zeitmanagement
•    Bewältigung kritischer sozialer Situationen durch Auf- bzw. Ausbau sozialer
      Kompetenzen (Verbesserung der Kommunikations- sowie Konfliktfähigkeit bzw. hilfreicher Umgang mit   
      Ärger
•    Erlernen von Selbstsicherheit und Durchsetzungsfähigkeit
•    Stärkung der psychischen Widerstandskraft („Resilienz“) bzw. „Psychohygiene“ und  
      Burnout-Prophylaxe
•    Hilfestellung beim Aufbau von möglichen Helfersystemen bzw. beim Delegieren von   
      Aufgaben

Diese Themen und Lösungsansätze für die Probleme bzw. Herausforderungen in diesem Kontext werden v. a. in einer indikativen Therapiegruppe und in Einzelgesprächen erarbeitet.

Hier die Übersicht über die Struktur der indikativen Gruppe der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik (insgesamt sechs Gruppensitzungen mit jeweils 60 min Dauer in drei Wochen):

Termin 1:
•    Begrüßung
•    Orientierung
•    Erwerb eines angemessenen Störungsverständnisses
•    Einführung ins Soziogramm (Hausaufgabe)

Termin 2:
•    Analyse des Burnout-Geschehens anhand der Analyse der externen 
      Belastungsfaktoren, z. B. exemplarisches Aufzeichnen eines Arbeitsplatzes
      (Soziogramm bzw. Organigramm) bzw. Aufzeichnen eines familiären Burnout-
      Systems (Beispiel: Pflegefälle)

Termin 3:
Analyse der Eigenanteile, z. B.:
•    zu hohe eigene Erwartungshaltung
•    fehlendes Zeitmanagement
•    fehlende Erholungszeiten et al.

Termin 4:
•    Verbesserung Zeitmanagement-Fähigkeit und der Kompetenz, selbst für eine    
      angemessene Erholung zu sorgen
•    Selbstfürsorge
•    Psychohygien
•    „Nein“ sagen lernen
•    Burnout-Prophylaxe

Termin 5:
Kognitive Umstrukturierung von negativen Leitsätzen:
•    Arbeit an Schuldgefühlen
•    Hilflosigkeitserleben und Selbstwertstörungen
•    Arbeit mit den „Antreibern“ (9)

Termin 6:
•    Aufbau eines Helfersystems am Heimatort
•    Delegieren von Aufgaben
•    Zusammenfassung
•    Ausblick für zu Hause
•    Transfer in den Alltag


Hinzu kommen flankierende therapeutische Maßnahmen wie die „Genussgruppe“, Entspannungstraining (Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Qigong), Ergotherapie, Sport- und Bewegungstherapie, sowie so genannte „non-verbale Verfahren wie Körperwahrnehmung und Kunsttherapie.


Einen großen Stellenwert hat außerdem die Unterstützung durch den Sozialdienst der Berolina Klinik:
a) Reintegration in den Arbeitsprozess
b) Maßnahmen der stufenweisen Wiedereingliederung
c) Fragen zur wirtschaftlichen Absicherung


Zusammenfassung
Das Burnout-Syndrom scheint auch Ausdruck unserer globalisierten Leistungsgesellschaft zu sein. Das Bewusstsein für stressbedingte Erkrankungen hat in den letzten Jahren jedoch zugenommen und eine Fülle von Behandlungsmöglichkeiten wurde entwickelt und erprobt. Die Kombination von geistiger, körperlicher und emotionaler Erschöpfung stellt die Behandlerinnen bzw. Behandler vor große Herausforderungen. Risikofaktoren sind negative Arbeitsbedingungen, reduzierte soziale Strukturen aber auch persönliche Eigenschaften, wie z. B. „Neurotizismus“ und geringe Widerstandsfähigkeit. Integrative Behandlungsansätze im Rahmen einer stationären Behandlung, z. B. in der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik in Löhne bei Bad Oeynhausen scheinen sich am besten zu bewähren. In ihnen werden Körpertherapie, Entspannung, Erholung, sportliche Aktivierung, Sozialberatung und Psychotherapie (Einzel- und der Gruppensetting) erfolgreich kombiniert.


Literaturverzeichnis
(1) Freudenberger, H., Burn-Out: The High Cost of High Achievement, Bantam
      Verlag, 1989
(2) Selye, Hans, The Stress of Life, McGraw-Hill Verlag, 1978
(3) Leitner, M., Maslach, C., Burnout erfolgreich vermeiden, Springer Verlag 2007
(4) Krypta, G., Burnout erkennen, überwinden, vermeiden, Carl Auer Verlag, 2006
(5) Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz,
      osha.europa.eu, 2007, Newsletter. Facts 74/DE
(6) Burisch, Matthias, Das Burnout-Syndrom, Springer Verlag, 3.Aufl. 2006
(7) Hillert, Andreas, Marwitz, Michael, Die Burnout Epidemie: Oder brennt die
      Leistungsgesellschaft aus?, Beck Verlag, März 2006
(8) Hillert, A., Marwitz, Burnout: eine kritische Analyse mit therapeutischen
      Implikationen, Ärztliche Psychotherapie, 4/2008, S. 235-241, Schattauer Verlag
(9) Berne, Eric, Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie: Eine systemische
      Individual- und Sozialpsychiatrie, Junfermann Verlag, 2. Aufl. März 2006

  

Dr. Christian Stock, Prof. Dr. med. Gerhard Schmid-Ott


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