Löhne/Bad Oeynhausen. Gemessen am Verlust von gesunden Lebensjahren sind Kopfschmerzen laut der World Health Organisation die dritthäufigste Ursache für gesundheitliche Beeinträchtigungen weltweit. Die Wissenschaft zählt über 300 verschiedene Typen von Kopfschmerzen. Die am häufigsten anzutreffenden Formen der Kopfschmerzen, die klinisch als primäre Erkrankungen bezeichnet werden müssen, sind der Kopfschmerz vom Spannungstyp und die Migräne.
Die Berolina Klinik Löhne/Bad Oeynhausen ist u. a. für die medizinisch-rehabilitative Behandlung von allen Formen von Kopfschmerzen bekannt und veranstaltet seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig ein Kopfschmerzkolloquium, in dem wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum von Fachleuten und Betroffenen vorgetragen und diskutiert werden. Die lange Reihe des Kolloquiums – nur durch die Pandemie unterbrochen – wurde Ende November zum zwölften Mal fortgesetzt. Hauptreferent war Herr Prof. Dr. med. Torsten Passie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist ein international bekannter Forscher im Bereich Psychopharmakologie und Experte für die psychotherapeutische Behandlung psychischer Erkrankungen. Ab Januar 2023 wird er neuer Chefarzt der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik. Sein Thema für das Kolloquium war „Migräne und Cluster-Kopfschmerz im Vergleich“.
Die Migräne ist eine weitverbreitete Kopfschmerzform: 11 % der Bevölkerung erlebt sie mindestens einmal im Leben und bei vielen der Betroffenen beeinträchtigt sie sehr stark die Lebensqualität. Die „Schmerzattacken“ dauern 4 bis 72 Stunden an, sind typischerweise einseitig lokalisiert, pulsierend und verstärken sich bei körperlicher Tätigkeit. Sie treten meistens im jugendlichen Alter zum ersten Mal auf und kommen bei Frauen häufiger als bei Männer vor. Die physiologischen Ursachen sind mittlerweile geklärt. Ein Zusammenhang sieht die Forschung mit Veränderungen der Blutgefäße am Schädel und im Gehirn, Veränderungen der Durchblutung und der Blutgefäße im Gehirn, in der reduzierten Aktivität der Hirnrinde sowie in der Freisetzung von Neuropeptiden, die eine entzündungsähnliche Reaktion der Blutgefäße hervorrufen. „Wir wissen immer noch nicht, wo der „Migräne Generator“ steckt, aber Migräneattacken können auch von außen getriggert werden, zum Beispiel durch Veränderungen im Tagesrhythmus, Wetterwechsel, Stress, Hormonschwankungen, Essverhalten oder Rotwein“, stellt Prof. Passie fest.
Die Migränetherapie wird unterschieden in Akuttherapien – wenn eine Attacke schon eingesetzt hat – und in vorbeugende Therapien, die das Auftreten von Attacken verhindern sollen. In den letzten Jahren sind durch die Entwicklung von neuen gefäßverengenden und entzündungs-hemmenden Wirkstoffen (sog. Triptane) Fortschritte in der Akuttherapie gemacht worden. Die Anwendung von Psychedelika für Migräne, insbesondere Psilocybin, wird aktuell beforscht und verspricht Verbesserungen bei der vorbeugenden Behandlung.
Cluster-Kopfschmerzen sind grundsätzlich anders als die Migräne, kommen viel seltener vor und betreffen Männer häufiger als Frauen. Weil die Prävalenz bei 0,1 bis 0,2% liegt, leiden Betroffene oft jahrelang, bevor sie die korrekte Diagnose bekommen. Da sie selten in Hausarztpraxen gesehen werden, erhalten Betroffene oft eine falsche Diagnose wie Migräne oder Zahnschmerzen.
In den USA werden Cluster-Kopfschmerzen manchmal als „suicide headache“ bezeichnet, weil die Schmerzen kaum auszuhalten sind - sie zählen mitunter zu den stärksten Schmerzen, die Menschen erleben können. Patienten beschreiben ihre Schmerzen so, als ob ihnen ein Speer durch den Hinterkopf und durch das Auge gerammt würde. Manche versuchen gar bei Attacken, sich bewusstlos zu schlagen, um den Schmerzen zu entgehen.
Die Clusterkopfschmerzattacken dauern zwischen 45 und 90 Minuten, sind vornehmlich rechts lokalisiert. Augenrötung, einseitige Engstellung der Pupille, Lidschwäche, Tränenflusse und ein Sand-im-Auge-Gefühl sind Begleiterscheinungen, die nicht oder nur sehr selten bei Migräne vorkommen. Die Attacken werden nicht direkt getriggert wie bei Migräne, aber sie kommen oft nach dem Jahreszeitwechsel, einer Zeitzonenverschiebung oder durch Träume zustande. Die Ursachen sind nicht bekannt, aber ein Zusammenhang mit dem Hypothalamus, der unseren inneren Biorhythmus reguliert, wird vermutet.
Leider gibt es noch keine Behandlungsmöglichkeit, die so wirksam ist wie Triptane für Migräne. Ein Problem bei der Therapieentwicklung liegt in der fehlenden Wirtschaftlichkeit - für Pharmafirmen amortisieren sich die Kosten der Wirkstoffwicklung für eine Erkrankung, die so selten vorkommt, nicht bzw. kaum. Bisher bekannte Akuttherapien sind das Einatmen von reinem Sauerstoff und das Einspritzen von starken Triptanen unter die Haut – da sie oral unwirksam sind. Die vielversprechende vorbeugende Wirkung von Psychedelika wie etwa LSD bzw. dem nicht psychoaktiven 2-Bromo-LSD wird aktuell beforscht.
Als zweiter Referent erläuterte Rolf Süllwold, Neurologe, ehemaliger Chefarzt Psychosomatik und Migräneexperte der Berolina Klinik, das Kopfschmerzbehandlungsprogramm der Klinik. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der begleitenden Psychotherapie. Aus dem Kreis der circa 60 Teilnehmenden wurden viele Fragen an beide Referenten gestellt. Für einen runden Abschluss sorgte der anschließende Imbiss, eine angenehme Gelegenheit für den allgemeinen Austausch.
Prof. Dr. med. Torsten Passie M. A. (phil.), Facharzt f. Psychiatrie u. Psychotherapie
Rolf Süllwold, ehem. Chefarzt Psychosomatik u. Kopfschmerzexperte Berolina Klinik
v. l. Rolf Süllwold, Dr. med. Martina Henkel, komm. Chefärztin Psychosomatik Berolina Klinik, Andreé Gleißner, Geschäftsführer Berolina Klinik, Prof. Dr. med. Gerhard Schmid-Ott, komm. Chefarzt Psychosomatik Berolina Klinik, Prof. Torsten Passie
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