Eine Zusammenfassung des Posterbeitrags Brünger M, Bernert S, Graf A, Spyra K. 2021.
Zusammenhang von Arbeitsbelastungen und sozialmedizinischem Verlauf 24 Monate nach Rehabilitation.
Eine Routinedatenanalyse. Poster für das 30. Rehawissenschaftliche Kolloquium der DRV Bund. Hannover (digital).
Kommentar der Redaktion: Beim 30. Rehawissenschaftlichen Kolloquium der DRV Bund im März 2021 ist uns eine Posterpräsentation besonders aufgefallen. Das Autorenteam aus der Charité hat sich mit einer für die Rehabilitation wichtigen Frage beschäftigt: Sind Menschen, die eine Rehabilitation machen, besonders anfällig für psychische Überbelastungen aus ihrem beruflichen Umfeld oder sind ihre Arbeitsstätten psychisch und körperlich besonders belastend? Die Studie liefert Belege für eine differenzierte Antwort auf diese Frage:
1. Rehabilitandinnen und Rehabilitanden der Deutschen Rentenversicherung üben eine Berufstätigkeit mit einer Arbeitsbelastung aus, die im Vergleich zur allgemeinen Erwerbsbevölkerung im Durchschnitt höher liegt.
2. Hohe Arbeitsbelastungen stehen in einem Zusammenhang zu einem negativen sozialmedizinischen Verlauf 24 Monate nach Rehabilitation.
3. Arbeitsbelastungen sollten daher in der Rehabilitation noch stärker als bislang beachtet werden. Dies schließt sowohl das Screening auf Arbeitsbelastungen als auch die Berücksichtigung bei der Therapiegestaltung ein, beispielsweise im Rahmen einer Medizinisch-Beruflich Orientierten Rehabilitation (MBOR).
Zusammenfassung des Posterbeitrags
Sowohl physische als auch psychosoziale Arbeitsbelastungen sind mit zahlreichen gesundheits- und erwerbsbezogenen Merkmalen assoziiert, darunter auch Return-to-Work nach der Rehabilitation, dem zentrale Ziel bei der Rehabilitation von Menschen im erwerbsfähigen Alter [1]. Trotz ihrer Bedeutung werden Arbeitsbelastungen in Studien vielfach nicht oder nur in einzelnen Facetten erfasst; Informationen hierzu sind auch nicht direkt in Routinedaten der Sozialversicherungsträger dokumentiert. Allerdings sind viele Arbeitsbelastungen typisch für einzelne Berufstätigkeiten. Daher ist es prinzipiell möglich, über die Bildung von sogenannten Job-Exposure-Matrizen in Primärstudien direkt erhobene Arbeitsbelastungen den Berufstätigkeiten dieser Personen zuzuordnen und diese Information über berufstypische Belastungen dann in anderen Studien oder Routinedatenanalysen zu nutzen, sofern dort die Berufstätigkeit dokumentiert ist. Dies ist beispielsweise bei Daten der Renten-, Unfall- und Krankenversicherung der Fall. In einer Vorstudie konnte bereits gezeigt werden, dass ein auf Basis der Berufstätigkeit über Job-Exposure-Matrizen gebildeter Arbeitsbelastungsindex berufstypische Belastungen von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden grundsätzlich valide abbilden kann [2]. In einer weiteren Untersuchung wurde der Zusammenhang von hohen Arbeitsbelastungen mit einer negativen Return-to-Work-Prognose am Rehabilitationsende gemäß Angaben im Entlassungsbericht dargelegt [3].
Unbekannt war bislang hingegen, wie sich der tatsächliche sozialmedizinische Verlauf im Zeitraum von 24 Monaten nach Ende der Rehabilitation in Abhängigkeit vom Ausmaß an Arbeitsbelastungen gestaltet. Auf dem 30. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften wurden daher Ergebnisse einer von der Charité – Universitätsmedizin Berlin durchgeführten retrospektiven Kohortenstudie vorgestellt. Die Studie wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund finanziell gefördert und basiert auf dem Scientific Use File „Abgeschlossene Rehabilitationen im Versicherungsverlauf“ der Deutschen Rentenversicherung [4]. Eingeschlossen in die Analysen wurden 597.021 Versicherte zwischen 18 und 63 Jahre, die im Zeitraum sechs Monate vor Rehabilitation wenigstens einen Monat erwerbstätig waren und zwischen 2008 und 2013 mindestens eine medizinische Rehabilitation abgeschlossen hatten. Arbeitsbelastungen wurden mithilfe des globalen Arbeitsbelastungsindex nach Kroll operationalisiert, d. h. jeder Berufstätigkeit wurden Arbeitsbelastungen, die zuvor bei einer Befragung von 20.000 Erwerbstätigen mit 39 Items multidimensional erfasst wurden, aggregiert zu einem Indexwert zugeordnet und dieser in drei Beeinträchtigungsgruppen (niedrige, mittlere und hohe Arbeitsbelastung) kategorisiert [5].
21 % der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden übten eine Berufstätigkeit mit niedriger Arbeitsbelastung aus, 34 % eine mit einer mittleren und 45 % eine Tätigkeit mit einer hohen Arbeitsbelastung. Zum Vergleich: In der allgemeinen Erwerbsbevölkerung üben gemäß der festgelegten Definition „nur“ etwa
30 % eine Tätigkeit mit hohen Arbeitsbelastungen aus. Hohe Arbeitsbelastungen waren im Vergleich zu niedrigen Arbeitsbelastungen signifikant mit geringerem Return-to-Work (88 % vs. 93 %), häufigerer Arbeitslosigkeit (14 % vs. 8 %) und häufigerem Erwerbsminderungsrentenbezug (5 % vs. 4 %) im Zeitraum 24 Monate nach Ende der Rehabilitation assoziiert. Diese Zusammenhänge blieben auch bestehen, wenn man für Alter und Geschlecht sowie zusätzlich für den Erwerbsstatus vor Rehabilitation (durchgehende vs. nicht durchgehende Beschäftigung im Zeitraum zwölf Monate vor Rehabilitation) statistisch kontrollierte.
Das Vorliegen von hohen Arbeitsbelastungen gemäß Arbeitsbelastungsindex steht folglich in einem Zusammenhang mit einem negativen sozialmedizinischen Verlauf 24 Monate nach Rehabilitation. Diese Erkenntnis ermöglicht es prinzipiell – gemeinsam mit anderen Merkmalen, wie z. B. Arbeitsunfähigkeitszeiten – besonders vulnerable Gruppen von Versicherten anhand von Routinedaten zu identifizieren. Dies könnte sowohl die Steuerung von Leistungen der Deutschen Rentenversicherung unterstützen als auch den Reha-Einrichtungen helfen, einen Fokus auf hinsichtlich ihres Return-to-Work besonders gefährdete Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu legen.
Autorenschaft: Martin Brünger, Sebastian Bernert, Antonia Graf, Karla Spyra
Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft,
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Literatur
1. Dragano, N., Wahrendorf, M., Müller, K., Lunau, T. (2016): Arbeit und gesundheitliche Ungleichheit: Die ungleiche Verteilung von Arbeitsbelastungen in Deutschland und Europa. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz, 59 (2). 217-27. DOI: doi.org/10.1007/s00103-015-2281-8
2. Brünger, M., Spyra, K. (2018): Bedeutung von Arbeitsbelastungen bei Rehabilitanden – Anwendung eines Index für Berufstätigkeiten. Rehabilitation, 57 (4). 239-247. DOI: doi.org/10.1055/s-0043-106725
3. Brünger, M., Bernert, S., Spyra, K. (2020): Occupation as a proxy for job exposures? Routine data analysis using the example of rehabilitation. Gesundheitswesen, S1. S41-S51. DOI: doi.org/10.1055/a-0965-6777
4. Forschungsdatenzentrum der Deutschen Rentenversicherung (2018): Codeplan Scientific Use File. Abgeschlossene Rehabilitationen 2008-2015 im Versicherungsverlauf. SUFRSDLV15B. Berlin.
5. Kroll, L. E. (2015): Job Exposure Matrices (JEM) for ISCO and KldB (Version 2.0). Updated for ISCO-08 and KldB-2010 and including an additional Heavy Work Index. datorium, DOI: doi.org/10.7802/1102