Psychisch stark in einer Welt voller Krisen

Die Krisen scheinen sich derzeit geradezu die Klinke in die Hand zu geben. Das kann bedrückend sein. Unser Chefarzt Psychosomatik Professor Dr. med. Torsten Passie rät dazu, die Perspektive zu erweitern. Ein Bericht der "Neuen Westfälischen" vom 15. Januar 2025.
 

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Quelle: Judith Gladow, NW, https:// epaper.nw.de

Seit Jahren scheint eine Krise auf die nächste zu folgen, zum Teil neu hinzuzukommen. Erst kam Corona, dann der Ukraine-Krieg, dazu kam der Krieg in Gaza. Gleichzeitig erschüttern Anschläge, Naturkatastrophen und Unglücksfälle immer wieder die Öffentlichkeit. Das kann durchaus bedrückend sein.
Torsten Passie ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, seine Schwerpunkte sind Sucht- und Sozialmedizin. Seit 2023 ist er Chefarzt in der Löhner Berolina Klinik. Die NW hat mit ihm darüber gesprochen, was all diese Krisen mit uns machen und was wir dem entgegnen können. Passie sagt vor allem eins: Die Welt ist gar nicht so schlimm, wie sie uns manchmal erscheint.
Nachrichten und unsere Wahrnehmung dieser funktionierten ähnlich wie das Alarmsystem des Körpers, sagt Passie. „Der Körper gibt ja nicht ständig unsere Beachtung erzwingende Signale, wenn er sich gut fühlt.“ Schmerz sei dagegen ein Signal, das darauf aufmerksam macht, dass etwas nicht in Ordnung ist.„Wenn etwas wehtut, dann richtet sich die Aufmerksamkeit genau auf die Stelle, die wehtut, die nicht funktioniert.“ Nachrichten hätten eine ähnliche, ebenfalls wichtige Funktion. „Sie weisen oft auf Dinge hin, die zeigen, dass hier etwas nicht funktioniert.“ Fatal sei jedoch, daraus zu schließen, dass alles ganz furchtbar sei. „Wenn ein Arzt am Tag 100 Patienten sieht, die krank sind, könnte er ja daraus schließen, dass alle Menschen krank sind. Dabei ist das einfach nur ein kleiner ausgewählter Ausschnitt.“
Neben der Vielzahl an schlechten Nachrichten gebe es nicht nur gute Nachrichten, sondern eben auch noch viel mehr ganz banale, aber schöne Dinge. „Die bekommen wir aber nicht mit, weil darüber nicht berichtet wird.“ Weil sie eben entweder „nichts Besonderes“ sind oder im Privaten oder kleinen Rahmen stattfinden.
Positive Einflüsse durch persönliche Kontakte, zu Freunden und Familie, genauso wie Erfolgserlebnisse und Herausforderungen auf der Arbeit seien entsprechend gut geeignet, die eigene Wahrnehmung hier auszubalancieren.„Problematisch wird es, wenn so etwas wegbricht“, berichtet Passie.
„Da verletzt sich jemand den Fuß und kann auf einmal nicht mehr zur Arbeit und nur noch auf dem Sofa liegen. Oder jemand ist betriebsbedingt gekündigt worden“, nennt Passie Beispiele. Die positiven Einflüsse aus dem Job und vielleicht dem Verein sind auf einmal weg. Dafür rücke dann vielleicht der Frust über den rebellischen Sohn in den Vordergrund, wenn das nicht mehr durch positive Alltagserfahrungen relativiert wird. Das erlebe man dann als deprimierend.
Ähnliches sehe er auch immer wieder bei Patienten in der auf Psychosomatik spezialisierten Rehaklinik. Auslöser für zum Beispiel eine Depression seien meist genau solche persönlichen Krisen. Jobverlust, Scheidung, Krankheiten oder Arbeitsunfähigkeit sowie der Verlust von Teilen des sozialen Umfelds stünden nicht selten am Anfang einer Negativspirale.
Die Krisen der Welt seien jedoch nicht nah genug an den Menschen dran, und damit alleine nicht ausreichend, um jemanden völlig aus der Bahn zu werfen. „Zumindest habe ich so einen Fall noch nicht gesehen.“
Negatives einschränken
Dennoch gebe es ein paar einfache Tipps, wie jeder und jede die bedrückende Wirkung der globalen Krisen auf unsere Psyche einschränken kann.„Wenn ich weiß, mir tut der Konsum von Nachrichten nicht gut, dann kann ich das limitieren“, erklärt Passie. Zum Beispiel nur alle zwei Tage Nachrichten zu lesen, hören oder schauen. Oder nur eine begrenzte Zeit am Tag dafür aufwenden. So wie es einem selbst guttue.
„Vor allem aber sollte man Problemwahrnehmungen nicht noch vertiefen.“ Es sei im Internet ganz leicht, immer mehr Quellen der gleichen Art zu finden und sich dort hineinzusteigern.Das sei nicht nur für die Psyche schlecht, sondern auch der Mechanismus, über den Menschen in Extremismus geraten, betont Passie.
 
Positives verstärken
Ein positives soziales Umfeld stärke die Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit. „Wenn ich Freunde und Familie habe, mit denen ich reden kann, ist das eine Ausgangslage, die bleibt“, meint Passie. Resilienz sei vor allem entscheidend bei schwerwiegenden Ereignissen, die einen persönlich betreffen. Die gleichen Faktoren helfen aber auch im Umgang mit Nachrichten über Krieg und Krisen, meint Passie.
Um sich nicht zu sehr bedrücken zu lassen, könne man sich etwa bewusst positiven Erlebnissen aussetzen. „Vielleicht suche ich mir ein cooles Hobby. Das tut gut. Und dann verstärke ich das am besten noch mit anderen, die das gleiche Hobby haben.“
 
Einflüsse relativieren
Dass Nachrichten nicht die ganze Welt widerspiegeln, sondern ähnlich wie das Alarmsystem des Körpers den Blick ausschnittsweise auf das richten, was wehtut, sei für sich gesehen schon eine wichtige Erkenntnis. „Vielleicht reicht es ja schon, sich das klarzumachen“, sagt der Facharzt für Psychiatrie.
Er rät dazu, zwischendurch eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen. „Krieg und Krisen hat es schon immer gegeben. Wir haben aber auch in den vergangenen Jahrhunderten einen enormen zivilisatorischen Fortschritt erlebt.“ Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie – viele Errungenschaften erscheinen so selbstverständlich, dass sie nicht jeden Tag thematisiert werden: „Es gibt bestimmt mindestens 50-mal so viele positive Ereignisse und Tatsachen wie negative“, meint Passie.
 

Quelle: Judith Gladow, Neue Westfälische vom 15.01.2025, https:// epaper.nw.de

Professor Dr. med. Torsten Passie M.A. (Phil.)
Chefarzt Psychosomatik

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Suchtmedizin, Sozialmedizin

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